Das 1981 erschienene Buch "A New Science of Life - The Hypothesis of Formative Causation" liegt mittlerweile in der 3. Auflage von 2009 vor, auf die sich meine Ausführungen beziehen. Das angesehene Wissenchaftsmagazin Nature urteilte; "a book for burning".
Deutsche Ausgabe: "Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes" 1993, Original 1981
Wer erwartet hat, Sheldrake könne erklären, woher das Leben kommt, wird enttäuscht. Das Morphogenetische Feld soll ein Gedächtnis haben und es künftigen Organismen ermöglichen die Form eines früheren Lebewesens anzunehmen. Woher das erste Lebewesen gekommen ist, diese Frage bleibt unbeantwortet.
Mir drängt sich folgende Frage auf: Wenn alle bisherigen Lebewesen in dem Feld gespeichert sind, warum entstehen heute keine Saurier?
Dass Zellen mit identischer genetischer Information sich zu verschiedenen Gewebetypen entwickeln, bezeichnet Sheldrake als ungelöstes Problem der Biologie. Die Lösung liegt allerdings in den Homöobox-Genen, die im Buch erwähnt werden, zur Drucklegung (der aktuellen Auflage) des Buches also schon bekannt waren.
Er arbeitet den Unterschied zwischen der (der Wissenschaft zu Grunde liegenden) mechanistischen und der vitalistischen Weltsicht aus, die Mystiker und eben auch er vertreten. Nach der mechanistischen Auffassung sind Lebewesen wie Maschinen, deren Funktion allein auf Grund es Zusammenspiels ihrer Teile auf Grund der physikalischen Gesetze zu erklären sind, während die vitalistische Auffassung eine zusätzliche nicht-physikalische Komponente postuliert, etwa Lebenskraft, Vitalfaktor oder eben auch morphogenetisches Feld genannt. Die mechanistische Vorstellung der Entwicklungsbiologie wird oft mit dem einem Computer verglichen. Die Information, wie aus dem Ei ein erwachsenes Lebewesen zu bauen ist, wäre demnach die Software. Und das könne nicht möglich sein, da das Programm bei einem Computer von einem bewussten und vernunftbegabten Wesen, eben dem Programmierer, erschaffen ist. Ach, dieser plumpe alte Vergleich! Es hat einmal einen Ansatz "genetischer Algorithmen" gegeben, bei dem sich Programme durch Rekombination, Mutation und Selektion entwickeln und Lösungen finden sollten, die eben von keinem Programmierer vorhergesehen waren. Dem Programmierer bleibt es, die Anforderungen zu formulieren (entsprechend der Umgebung in der sich ein Lebewesen behaupten muss). In der Praxis scheint dieser Ansatz keine große Rolle zu spielen, aber er ist möglich. Und moderne selbst-lernende Algorithmen haben Fähigkeiten die der Programmierer nicht vorhersehen konnte. Aktuell zum Beispiel Alpha-Go Zero, eine Maschine, die das Spiel Go besser beherrscht als ihr Vorgänger Alpha-Go und diese wieder besser als der beste menschliche Go-Spieler. Das besondere: Kein Mensch hat Alpha-Go Zero (im Gegensatz zu dem Vorgänger Alpha-Go) "gesagt" wie man Go spielt. Die Maschine hat das selbst durch Versuch und Irrtum herausgefunden.
Immerhin gesteht Sheldrake ein, dass die Lösung dieser Probleme auf mechanistische Weise in der Zukunft möglich ist - und ich antworte dass es diese Lösung (in der Zwischenzeit) gibt.
Und dann kommen wir zum Kern der Sache, die Entstehung von Form (Kapitel 3).
Wie andere Autoren beginnt Sheldrake seine Erklärungen mit einem Abriss der aktuellen Physik. Im Gegensatz zu dem was Kinslow, Chopra und die anderen hier besprochenen Quanten-Mystiker an Unsinn verzapfen, hat diese Beschreibung Hand und Fuß. Hier habe ich das Gefühl dass ein ehrlicher Mensch am Werk ist der etwas von den Grundlagen versteht.
Dass ein Elektron ein "Quantum des Elektron-Positron-Feldes" ist, hätte ich zwar nicht so gesehen, aber wir sind beide keine Physiker.
Sheldrake räumt ein: Wenn die existierenden physikalischen Theorien eine adäquate Erklärung für die Entstehung von Formen liefern können, dann ist die Idee des morphogenetischen Feldes überflüssig (Kap. 3.1, letzter Absatz). Also befindet sich die Idee des morphogenetischen Feldes in einem Wettlauf mit dem Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse (den es mit Sicherheit verlieren wird).
Das Buch ist anspruchsvoll zu lesen, die Schrödingergleichung wird als bekannt vorausgesetzt. Was ein Feld ist, wird auch nicht erklärt. Dass viele der Sheldrake-Verehrer das Buch vollständig gelesen und wenigstens halbwegs verstanden haben, bezweifle ich.
Sheldrake bemerkt, dass es bis auf einfachste Beispiele nicht möglich ist, chemische Reaktionen mit Hilfe der Schrödingergleichung zu berechnen. Und die klassische Berechnung von Molekülen nach der Materie stets dem Energie-Minimum zustrebt scheitert daran dass es viele lokale Minima mit beinahe identischen Energien gibt, tatsächlich aber nur eine dieser Lösungen in der Natur vorkommt. So weit richtig. Die Berechnungen werden aber immer besser, bei einem wiederholt durchgeführten Wettbewerb gab es zwischen 2004 und 2007 einen wesentlichen Fortschritt wenngleich nur einfache Moleküle mit maximal 33 Atomen berechnet wurden. Das ist zwar auch schon wieder 11 Jahre her und mittlerweile wird man wohl weiter sein, allerdings bestehen einfachste Biomleküle wie Insulin aus z.B. 800 Atomen, von von Enzymen oder der DNA ganz zu schweigen.
Das belegt die an sich triviale Tatsache, dass die vollkommene Beschreibung der Natur in allen Einzelheiten nicht möglich ist. Deshalb arbeitet die Naturwissenschaft gedanklich in Ebenen. Die Quantenebene, die atomare, molekulare usw.
Wie sieht es mit dem morphogenetischen Feld aus, das müsste jetzt über alle Größenordnungen hinweg eine konsistente Erklärung der Natur liefern? Nein. Auf jeder Ebene gibt es entsprechende morphogenetische Felder. Und auf der molekularen Ebene gibt es für jedes Molekül ein eigenes morphogenetisches Feld. Felder sind an sich dazu da, Berechnungen und Erklärungen zu vereinfachen, aber in dieserr Hinsicht haben wir nichts gewonnen.
Das morphogenetische Feld ist, wie Sheldrake betont, kein Energiefeld. Die Materie aus dem ein Lebewesen besteht muss vorhanden sein, und die Energie die zum Aufbau benötigt wird muss ebenso auf bekannte Weise zur Verfügung gestellt werden.
Das morphogenetische Feld ist hypothetisch, wie es ja auch aus dem englischsprachigen Titel hervorgeht. Deutschsprachige Leser sind offensichtlich leichtgläubiger, im deutschen Titel wird eine Theorie versprochen (und dieses Versprechen wird nicht eingehalten). Das Gravitationsfeld und das elektromagnetische Feld bezeichnet Sheldrake ebenfalls als hypothetisch. Starker Tobak!
Wird fortgesetzt....